Große Trends und kleine Veränderungen
von Raimund Nowak
Hoffnung
ist etwas für Menschen, die schlecht informiert sind. Viele Kommentatoren
wandern bei der Elektromobilität auf zwei sehr unterschiedlichen Wegen. Die
einen sehen bei ihren Wanderungen durch die alternative Antriebswelt nur
Stillstand und verbreiten gebetsmühlenartig die Unverzichtbarkeitserklärung von
Diesel- und Benzinautos. Die anderen surfen durch die wunderbare (Tesla-) Welt,
verdammen die etablierten Autobauer als Schlafmützen und feiern jede
Veröffentlichung eines elektrischen Conceptcars als Wahrzeichen bevorstehenden neuen
Mobilitätszeitalters. Die zweite Gruppe steht auf der richtigen Seite der
Geschichte, wirkt sympathischer, ist aber auch nur bedingt im Recht.
Die Gruppe
der Skeptiker findet ihre Hauptnahrungsquelle in den Zulassungszahlen für
Elektroautos. Gäbe es nicht Norwegen,
dann hätten sie sogar ein unschlagbares Argument für deren Unverkäuflichkeit. Die E-Autozahl des
Jahres 2016 kommt aus dem Land der Fjorde und lautet 100.000. So viele Elektroautos
sind dort mittlerweile zugelassen. Auf deutsche Verhältnisse übertragen hieße
dies rund 1,6 Millionen verkaufte Elektroautos. Zwischen Flensburg und
Zugspitze rollen jedoch wohl nur rund 70.000 Elektroautos. Woran liegt es?
Einerseits
lesen wir überall die Klage über schlechte Verkaufszahlen, andererseits hören
wir von langen Lieferzeiten, fehlenden Vorführwagen und verzögerter
Markteinführung neuer Modelle. Im Jahr 2016 hat sich der deutsche Elektromobilitäts-Markt
im Rahmen der Möglichkeiten entwickelt. Trotz der im Frühjahr 2016 eingeführten
Kaufpreisprämie sind nicht mehr Elektroautos verkauft worden als in 2015. Das
was an Fahrzeugen verfügbar war wurde, –
bis auf wenige Ausnahmen – verkauft. Nirgendwo auf der Welt stehen finden wir
große Lagerplätze mit unverkauften E-Autos. Bei „Verbrennern“ ist dies anders!
Es klingt komisch,
aber es stimmt. Das Angebot an Elektroautos war 2016 knapper als im Vorjahr und
in attraktiven Preislagen gab es so gut wie kein Angebot. Das einzige
vollelektrische Fahrzeug, das in diesem Jahr bei den Verkaufszahlen richtig
zugelegt hat, ist der Renault ZOE, der in Deutschland rund 2.700-mal (2015:
1.800) als Neuwagen aus einem Autohaus rollte. Zusammen mit dem BMW i3 führt der
elektrische Franzose das überschaubare Feld der Elektroautos in Deutschland an.
Ohnehin muss bedacht werden, dass nur rund ein Viertel der Neuzulassungen von
Privatkunden vorgenommen wird. Das große Zahlenrad drehen die Hersteller selbst
sowie die großen Flottenbetreiber. Die rund eine Million Menschen, die sich
Deutschland ein neues Auto kaufen, gehören eher zur älteren Generation. Daimler-Käufer
beispielsweise sollen im Schnitt knapp unter 60 Jahre alt sein. Die Mehrheit
der Neuwagenkunden kommt aus der Tradition des konventionelles Autos, das jederzeit
sehr weit fahren könnte, aber tatsächlich selten auf mehr als 50 km
Tagesfahrleistung kommt. Sie kommen aus einer Zeit als Autos viel über den
Status des Besitzers aussagten und Bus- und Bahnfahrer als Verlierer galten.
Das Leihen oder Teilen eines Autos waren Ideen aus einer fremden Welt. Ergebnis
dieser Haltung sind überdimensionierte Autos, die die meiste Zeit ihres
Lebens rumstehen. Um mit Nobelpreisträger
Bob Dylan zu sprechen: „The times, they are changing.“
Frauen
übrigens stehen den Elektro-Antrieben bisher deutlich skeptischer gegenüber als
Männer. Elektro-Autofahrer leben eher im ländlichen und suburbanen Raum und
sind nicht so vermögend wie es gern kolportiert wird. Wenn es nicht gerade ein
TESLA sein muss, ist ein Elektroauto für Normalverdienende durchaus leistbar. Aber
im Klein- und Mittelklassesegment hat bisher keines der Elektro-Modelle hohe Noten
in Bezug auf ihr Styling erhalten oder sich gar zu einem Kultobjekt entwickelt.
Hätte Volkswagen den Bulli, BMW den Mini oder Renault einen R4 als Elektroauto
in Serie gebracht, sähe es – auch mit Blick auf die Altersklasse der
Neuwagenkäufer – sicherlich anders aus. Sollte Apple tatsächlich das iCar auf
den Markt bringen, dürfte im Kultbereich ein neues Rennen beginnen.
Viele
halten mittlerweile das Ziel, in Deutschland im Jahr 2020 eine Million
E-Fahrzeuge auf die Straße zu bekommen, für unerreichbar. Hier sollte man nicht
zu früh aufgeben. Allerdings hieße dies, dass ab 2018 jedes 10. verkaufte Auto
die Kriterien des E-Kennzeichens erfüllen müsste. Im nächsten Jahr haben wir
eine deutliche Erweiterung der Angebotspalette. Nach einem Facelift ist der Volkswagen
e-up wieder verfügbar und die neue Generation des e-Golf wird in den Markt
eingeführt, Daimler bringt den neuen Smart nun auch als Electric Drive-Version,
Opel den neuen Ampera-e, Nissan den neuen LEAF, Hyundai den IONIQ Elektro,
TESLA das Model X (nicht das vielfach vorbestellte Model 3!). Das breitere
Angebot und die damit einhergehende Verfügbarkeit werden für höhere
Zulassungszahlen sorgen. Aber Vorsicht vor allzu großer Hoffnung: Autoproduktion
ist kein Brötchenverkauf! Auf verändertes Kundenverhalten kann nicht sofort
reagiert werden. Die Zulassungszahlen werden nicht von jetzt auf gleich
explodieren. So könnte im vollelektrischen Segment in Deutschland wohl maximal
eine Verdreifachung erfolgen. Bei den Plug-In-Hybriden wird eine Prognose
schwierig. Für Überraschungen könnte der eine oder andere Nischenanbieter sorgen.
Allerdings sind es ja nicht nur die Konzerne, die mit großen Ankündigen auf
sich aufmerksam machen. Auch kleinere Firmen und insbesondere StartUps zeigen
Prototypen, die vermutlich nie Marktreife erreichen werden.
Modelltechnisch
wird 2017 vor allem das Jahr der „Bekämpfung der Reichweitenangst“. Bei
Mittelklassewagen muss mit einem durchschnittlichen Stromverbrauch im
Realbetrieb von etwa 15 kWh rechnen. Autos mit Batterien, die über eine
Speicherkapazität von mehr als 30 kW verfügen, schaffen dann wirklich
mindestens 200 km. Eine Strecke, die zwar seltener gefahren wird, aber wohl
doch für viele Menschen gewünschter Mindeststandard ist. Wer so viel
Mindestreichweite haben möchte, kann sie dann bei allen Herstellern kaufen.
Reichweitenkönig der Mittelklasse wird der Opel Ampera-e mit einem 60 kW-Lithium-Ionen-Speicher
sein. Das wären dann 400 Kilometer mit einer Batterieladung. Ob viel Batterie dann
auch viele Kunden bringt ist noch offen. Richtig spannend wird es, wenn die
Gegenbewegung zur Reichweitenverlängerung auf dem Markt ankommt. Ein Fahrzeug
mit kleiner Batterie (um die 10 kW) und Strecken angepasstem Fahrkomfort kann
man sicher unter 10.000 Euro anbieten.
Wer aber will
kleine, billige E-Fahrzeuge bauen? Unter derzeitigen Bedingungen ist für die
hiesige Industrie wenig Wertschöpfung drin. Mit dem derzeitigen Kundenverhalten
können die Hersteller gut, viele sogar sehr gut, leben. Was sollen, die Firmen
machen, die auf den Bau von Getriebe oder Einspritzpumpe spezialisiert sind?
Die bisherige Elektromobilitätsstrategie verfolgte in erster Linie das Ziel den
Flottenverbrauch der großen Hersteller zu senken und somit den Bau von
Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren zumindest mittelfristig zu sichern.
Vielerorts wird immer noch an der Optimierung der Verbrennungsmotoren
gearbeitet und bedeutende Akteure sehen in der Entwicklung neuer
(synthetischer) Kraftstoffe eine langfristige Zukunft für den
Verbrennungsmotor.
Wer schützt
besser die Arbeitsplätze: Wer den Umstieg auf E-Mobilität hinauszögert oder
E-Treiber?
Letztere verweisen gern auf das Nokia-Schicksal, die anderen argumentieren mit Erfahrungen im Energiesektor. Dort ist es ja auch gelungen und es gelingt weiter, wenig zukunftsfähigen Technologien Bestandsgarantieren zu geben. Mit postfaktischer Argumentation wird dies als eine ökonomisch sinnvolle Strategie verkauft.
Letztere verweisen gern auf das Nokia-Schicksal, die anderen argumentieren mit Erfahrungen im Energiesektor. Dort ist es ja auch gelungen und es gelingt weiter, wenig zukunftsfähigen Technologien Bestandsgarantieren zu geben. Mit postfaktischer Argumentation wird dies als eine ökonomisch sinnvolle Strategie verkauft.
Staatliche Investitionen
in Zukunftstechnologien werden oft als Geldverschwendung gegeißelt. Gern von
den Profiteuren altbewährter Subventionswege. Ein bis zwei Milliarden Euro
wären wohl notwendig, um deutschlandweit eine gute Ladeinfrastruktur
aufzubauen. Mit kleinen Korrekturen bei der Dienstwagen- und der
Dieselbesteuerung hätte man das Geld schnell zusammen.
Natürlich
ist die Verkehrswende nicht umsonst zu haben. Investitionen in neue Fahrzeuge,
insbesondere vollelektrische Busse, neue Wegeführungen für Fahrräder, Platz für
Leihfahrzeuge, IT-Leitsysteme, Mobilitätszentren etc. müssen schließlich finanziert
werden. Viel spricht dafür, dass das Unterlassen dieser Vorhaben ökonomisch
viel riskanter ist, als sie zu tätigen. Ohnehin wird in Deutschland zu wenig
investiert. Warum nicht in neue Verkehrs- und Energietechnik?
Was waren
die großen elektromobilen Weichenstellungen 2016? Die beiden größten
Automobilkonzerne haben sich neu ausgerichtet. Toyota glaubt plötzlich weniger
an Wasserstoffautos und wird wohl bald auch batterieelektrische Fahrzeuge anbieten.
Volkswagen hat fertigungspolitisch eine enorme Richtungskorrektur verkündet und
will Elektroautos künftig (ab 2020?) auf einer eigenständigen Plattform bauen.
Mit Moia wurde 2016 eine neue Konzernmarke, die sich mit
Mobilitätsdienstleistungen beschäftigt und als Zeichen einer neuen
Weltstrategie in London vorgestellt wurde, geschaffen.
Die
relevanteste „elektromobile“ Weichenstellung war 2016 sicher die Verkündung der
chinesischen Regierung von E-Autoquoten. Natürlich sind im Riesenreich der
Mitte ausgeprägte industriepolitische hinter dieser Entscheidung ausmachen.
Letztlich ist jedoch die Bekämpfung der Luftverschmutzung in den Mega-Cities
alternativlos. Auch im Jahr eins nach der Unterzeichnung des UN-Klimaabkommens
ist nicht der Kampf gegen die Erderwärmung, sondern gegen die unzumutbare
Schadstoffbelastung der Atemluft die Haupttriebfeder der E-Mobilität. 300
Millionen Kinder leben weltweit in Regionen mit stark gesundheitsgefährdender
Luftqualität. Auch hartherzige Regierungen, die sich nur wenig vor
Wählerabstrafungen fürchten müssen, können sich dies nicht unbegrenzt anschauen.
Circulation
alternée hieß es einige Tage in Paris und Lyon. Mit der (angestrebten)
Halbierung des Autoverkehrs sollte in den französischen Metropolen die
Luftverschmutzung reduziert werden. Auch Fahrverbote sind also offensichtlich ein
europäisches Thema. In mehreren europäischen Großstädten wächst die
Bereitschaft, Fahrzeuge mit hohem Schadstoffausstoß vom Verkehr auszuschließen.
So will Paris seine 4.000 Dieselbusse bis 2024 gegen E-Liner austauschen. Noch
viel offenkundiger als im PKW-Bereich können wir bei Bussen und Lieferfahrzeugen
die mangelnde Verfügbarkeit von Elektrofahrzeugen beklagen.
Gegenüber einem
Dieselbus verbraucht ein Elektro-Bus nur ein Viertel der Energiemenge und seine
lokale Emissionsfreiheit ist an Stadtfreundlichkeit kaum zu überbieten. Für
2018 haben auch die großen Bushersteller elektrische Modelle angekündigt.
Bisher sind in Europa nur kleinere Unternehmen unterwegs. Wenn chinesische Großkonzerne
wie BYD in Europa ernsthaft aktiv werden, könnte es spannend werden.
Die große
Überraschung im elektrischen Transporter-Segment war der Streetscooter, den die
Deutsche Post in einem ihrer Unternehmen für den Eigenbedarf produzieren lässt.
Der Onlinehandel und die vielen Lieferserviceangebote haben die
Elektrifizierung der urbanen Logistik zu einem Topthema gemacht. Elektrische
Lastenräder werden schon in diesem Jahr viel häufiger im Stadtbild zu sehen
sein und sind zweifelsfrei ein weltmarktfähiges Produkt.
Eine
Debatte des vergangenen Jahres war das Verbot der Zulassung von Verbrennungsmotoren ab dem
Jahr 2030. Wir wissen, wie wenig bisher zeitliche Ferne Zielsetzungen bewirkt
haben. Was fehlt, ist die Verständigung auf zeitnah umsetzbare Maßnahmen zur
Förderung der Elektromobilität. Hier hapert es, weil zwei unrealistische
Hoffnungen gepflegt werden. Die eine Gruppe kämpft für viele weitere Jahre
ungestörten Betriebes von Verbrennern. Am anderen Ende der Hoffnungsskala
bewegen sich die, die eine Zukunft ohne Auto sehen. Die einen träumen von
synthetischen Kraftstoffen, die anderen von der Fahrradstadt. Gemeinsam
blockieren sie die notwendige Dynamik bei Entwicklung, Bau und Einsatz von
Elektrofahrzeugen. Diese Situation lösen wir nicht über ferne Zieldebatten,
sondern durch Entscheidungen im hier und jetzt.
Deutschland
ist sicher eines der am wenigsten geeigneten Länder für eine autofreie
Mobilitätswelt. Die wirtschaftliche Stärke der Automobilindustrie und die hohe
gesellschaftliche Akzeptanz des Autofahrens lassen dem Verfolgen einer
derartigen Strategie nicht den ausreichenden Raum. Zudem sind die negativen
Auswirkungen des Autoverkehrs in Deutschland beherrschbarer als anderswo. So
bleibt für Deutschland der Rolle des Vorreiters eines zukunftsfähigen
Mobilitätssystems inklusive Autos. Andere Länder können ja andere Strategien
verfolgen. Elektromobilität verändert die Verkehrs- und die Energiewelt. Es ist
ein harter Kampf von Branchen, die die Industriewelt der letzten Jahrzehnte
bestimmten. Da sollte man den Menschen nicht einreden ein paar Fahrevents und
Netzwerksveranstaltungen würden es schon richten. Ein paar mutige
Entscheidungen und Konsequenz beim eigenen Mobilitätsverhalten wird man der
Politik doch abverlangen können.
Abschließend dann doch noch etwas Hoffnungsvolles.
Im letzten Jahr wurden in Deutschland etwa 15.000 privatbetriebene
Solarspeicher installiert. Elektrofahrzeuge und die Speicherung von Strom aus
erneuerbaren Energie, hier wächst etwas zusammen, was zusammen gehört. Gemeinsam
sollten die Länder der Europäischen Union die Elektromobilität angehen. 2017
feiern (?) wir den 60. Geburtstag der Gründung der europäischen
Atomgemeinschaft. Bevor der Europäischen Union die Inhalte für die
Zusammenarbeit ausgehen, wie wäre es mit einer Europäischen
E-Mobilitätsgemeinschaft. Der Bau einer großen (!) europäischen Batteriefabrik
gehört zwingend dazu.
Mit Jahresbeginn die Batteriefabrik
von TESLA/Panasonic in Nevada ihren Betrieb aufgenommen. Die volle Produktionskapazität
soll dann 2020 erreicht sein. Wird Präsident Trump zur Eröffnung kommen? Die
erdölaffine Trump-Administration wird wissen, dass die Wirtschaftlichkeit von
E-Fahrzeugen stark vom Batteriepreis abhängt. Zwischen 2010 und 2016 sind diese
um 80 (!) Prozent gefallen. Das Rennen kommt in die Zielgerade: Wann wird die
Batterie in einem Elektroauto billiger sein, als die Teile in einem Verbrenner,
die in einem Elektroauto fehlen. Im Batteriesegment können wir noch erhebliche
Technologiesprünge und Preisreduzierungen erwarten. Beim Verbrennungsmotor wohl
eher nicht. Ich bin sicher, 2016 war das letzte „schlechte“ Jahr der
Elektromobilität.