Diskussionspapier Metropolregion(en) elektrisieren
Raimund Nowak – September 2015
Vorbemerkung
Die Elektromobilitätspolitik steht in Deutschland (mal
wieder) vor einer Zäsur. Die von Bundes-ministerien unterstützten
gebietsbezogenen Forschungs- und Entwicklungsprogramme (Modellregionen und
Schaufenster) laufen in den nächsten Monaten aus. Wie durch staatliche Hilfe
mehr Elektrofahrzeuge auf die Straße gebracht werden können, ist derzeit offen.
Sollte die Wirtschaftslage ein Konjunkturprogramm erfordern, wird es wohl auch
Kaufpreisprämien auf Elektroautos geben. Allein auf die Umweltprämie oder neue
Fahrzeugmodelle zu warten, wäre zu wenig. In den vergangenen drei Jahren habe
ich die Entwicklung der Elektromobilität intensiv verfolgt und an einigen
Stellen ein wenig mitgestalten können. Verkehrs- und Umwelt- und Energiepolitik
interessiert mich schon deutlich länger. Auf dieser Grundlage habe ich zehn
Punkte für mehr Elektromobilität verfasst. Ich freue mich auf Unterstützung und
Widerspruch.
Einleitung
Die hochgesteckten Ziele, Deutschland zum Leitmarkt und
Leitanbieter für Elektromobilität zu machen, wurden bisher nicht erreicht. Es
fahren deutlich weniger Elektroautos auf den Straßen als erwartet und selbst
auf dem heimischen Markt stammt die Mehrzahl der Elektrofahrzeuge von
ausländischen Herstellern. Die geringe Zahl der Stromtankstellen sowie das
Durcheinander bei den Zugangs- und Abrechnungsmöglichkeiten sind für ein Land
mit einer hochentwickelten Strominfrastruktur, privater und öffentlicher
Investitionskraft sowie ausgeprägter administrativer Kompetenz unerklärlich.
Die lokalen und nationalen Diskussionen kreisen um nicht
erreichte Verkaufszahlen und werden von der Furcht getrieben, Zeuge des
Verschlafens eines grundlegenden Wandels im Mobilitäts-sektor zu sein. Die
Chancen lokal emissionsfreier Fahrzeuge für die Lebensqualität (weniger Lärm –
bessere Luft) oder die Aussicht auf eine Reduzierung der Abhängigkeit vom Erdöl
werden kaum thematisiert. Viele Förderkonzepte sind zu komplex und auf der
Suche nach dem Königsweg werden pragmatische Lösungen oft übersehen. Die
blockierende Wirkung unterschiedlicher Wirtschaftsinteressen und fehlende
Aufbruchsstimmung lassen sich schwer auflösen. Forschungs- und
Entwicklungsprojekte haben wertvolles Wissen produziert, taugen jedoch kaum als
Marktreiber und genauso wenig als Ersatz für Infrastrukturprogramme.
Einiges spricht dafür, dass künftig auch in Deutschland
staatliche Hilfen für den Erwerb von Elektroautos gezahlt werden. Auch ohne
diese Staatshilfen wird die Zahl der Fahrzeuge auf zwei, vier und mehr Rädern
deutlich zunehmen. Das Angebot an Elektrofahrzeugen verbessert sich rasant. Bei
den PKW wird man wählen können zwischen günstigen Fahrzeugen mit geringerer
Reichweite und teureren Elektro-Modellen, die sich wie Automobile mit
konventionellem Antrieb nutzen lassen. Es ist nur noch eine Frage des
Zeitpunkts, bis Elektromobilität ein Massenphänomen wird. Elektrofahrräder
haben längst die Marktnische verlassen und werden durch neue Modelle im Transportsegment
und sinkende Preise weiter hohe Zuwachsraten verzeichnen.
Noch mehr Schwung erhält der Radverkehr durch die Ausweisung
von Schnellwegen. Dies gilt für die urbanen Zentren, in denen elektrische
Lastenräder deutlich an Bedeutung gewinnen werden. Viel schneller als erwartet
können vollelektrische Busse im Linienverkehr eingesetzt werden. Die urbane
Elektromobilität wird von Zweirädern, Bussen und Elektroautos als Leihwagen und
als Lieferfahrzeuge angetrieben. In suburbanen und ländlichen Räumen ist das
Potenzial für
Elektroautos viel größer als erwartet. Hier sind alternative
Autos mangels anderer Möglichkeiten gefragt. Die Ballungszentren suchen nach
Alternativen zum Auto.
Beim Aufbau eines sinnvollen Systems an Stromtankstellen
sind noch viele Fragen offen. Zu wenig wissen wir über das Ladeverhalten der
Nutzer und die Technik der Elektro-Autos in den nächsten zehn Jahren. Für einen
Zeitraum von mindestens fünf Jahren dürfte als gesichert gelten, dass der
Stromverkauf an Ladesäulen im öffentlichen Raum nicht wirtschaftlich betrieben
werden kann. Für schnelles Laden (möglichst 50 kW DC / 43 kW AC) werden Nutzer
bereit sein, höhere Preise für den Ladestrom zu zahlen. Diese Säulen müssen in
einem bewirtschafteten Raum stehen (Tankstellen/Autohöfe). Das beschleunigte
Laden (11/22 kW AC) kann im öffentlichen Raum zum Preis leicht erhöhter
Parkgebühren angeboten werden. Ansonsten dürfte sich das Bereitstellen von
Strom für Elektroautos als Geschäftsmodell der Kundenbindung und
Kundengewinnung für Handel und Gastronomie anbieten.
Für einen Übergangszeitraum von mindestens 24 Monaten wäre
es sinnvoll, an allen Stromtank-stellen (außer Schnellladestationen ab 23 kW)
in Deutschland den Strom kostenlos und ohne Zugangsbeschränkung anzubieten. Nur
den Missbrauch als günstige Parkmöglichkeit gilt es zu verhindern. Der
Übergangszeitraum sollte genutzt werden, um ein nutzerfreundliches System zu
entwickeln. Letztlich ist zu beachten, dass teures Stromladen das
Elektroautofahren wirtschaftlich unattraktiv macht.
Es wird darum gehen, für Elektrofahrzeuge preiswert Strom
aus erneuerbarer Energie zur Ver-fügung zu stellen. Noch fehlen Argumente,
Stromtankstellen zu teuren (und wartungsanfälligen) IT-Stationen aufzurüsten.
Natürlich ist der Einsatz von Elektrofahrzeugen Teil der Energiewende. Die
Dekarbonisierung des Verkehrs wird nicht an der Bereitstellung von Strom aus
erneuerbaren Energiequellen scheitern. Um die Verbindung zu verdeutlichen,
sollten rund 400 neue Wind-energieanlagen, die ausreichend Strom für eine Million
Elektroautos erzeugen können, entlang von Fernstraßen aufgebaut werden.
Ansonsten werden wir erleben, wie schnell Häuser zu Strom-produzenten für
Elektroautos werden und deren Batterien auch Strom für andere Nutzungen im
Haushalt zur Verfügung stellen können.
Gebiete wie die Metropolregion Hannover Braunschweig
Göttingen Wolfsburg, in denen seit einigen Jahren außergewöhnlich viele
Forschungs- und Entwicklungsprojekte im Bereich der Elektromobilität laufen,
sollten unter Beweis stellen, dass gewonnene Erkenntnisse unmittelbar in
Entscheidungsprozesse einfließen können. Das Ende eines Projekts ist der Beginn
eines neuen Anfangs. Möglichst näher am Markt oder zumindest mit einer neuen
Idee.
Punkt 1: Nicht nur auf die urbanen Zentren schauen
Es ist falsch, Elektromobilität allein als Großstadtthema zu
betrachten. Das Potenzial im sub-urbanen und ländlichen Raum wurde bisher
unterschätzt. In den urbanen Zentren wird Elektromobilität über Busse,
Lieferverkehr, Zweiräder und Leihsysteme angetrieben. Hier spielen Alternativen
zum Auto eine wichtige Rolle. Im ländlichen Räumen sind Autos mit alternativem
Antrieb leichter einsatzfähig als bisher gedacht. Hier bestehen häufig keine
akzeptablen Alter-nativen zur Nutzung eines Automobils. Im nicht gewerblichen
Bereich wohnt die ideale Zielgruppe für den Kauf von Elektroautos im Umland,
verfügt im Haushalt über mehr als ein Auto oder verfolgt einen multimodalen
Lebensstil und produziert selbst Strom.
Punkt 2: Den Lieferverkehr elektrisieren
Der Lieferverkehr in den urbanen Zentren bietet ein enormes
Potenzial für den Einsatz von Elektrofahrzeugen, die leider noch nicht
ausreichend angeboten werden. Der enorme Anstieg an urbanem Lieferverkehr
(Versandhandel) belastet die Lebensqualität in den Städten. Kluge Logistikkonzepte
und der Einsatz von Elektrofahrzeugen bieten Lösungsmöglichkeiten. Im
Innenstadtbereich und auf Kurzdistanzen werden elektrische Lastenräder an
Bedeutung gewinnen. Innovative Lösungen wie Oberleitung-LKW sollten auch in
Deutschland getestet werden.
Punkt 3: Elektrofahrzeuge viel fahren lassen.
Elektroautos sind teuer, wenn sie wenig bewegt werden. Diese
Einsicht ruft geradezu nach einem angepassten Management in Fuhrparks und nach
neuen Einsatzmodellen. Elektroautos müssen im positiven Sinne Symbolfahrzeuge
sein. Nicht stehend als Imageträger, sondern fahrend als Beispiele für den
modernen Einsatz von Autos. Der Besitz eines Elektroautos ist weniger bedeutend
als dessen Einsatz.
Punkt 4: Elektrobusse im Linienverkehr einsetzen
Die Entwicklung bei den Elektrobussen hat überrascht. Viel
schneller als erwartet werden vollelektrische Busse für den urbanen
Linienverkehr angeboten. Leise, keine lokale Belastung der Luftqualität und
hohe CO²-Einsparungen. Hier werden die Vorteile der Elektromobilität besonders
deutlich. Wenn in Deutschland etwas weniger Elektroautos fahren werden, dann sollten
es überraschend mehr Elektrobusse sein. Hier kann sich die Politik mindestens
so ambitionierte Ziele setzen wie bei den Elektroautos.
Punkt 5: Mehr Raum für Elektrofahrräder schaffen
Elektrofahrräder verändern die Verkehrswelt. Der Radverkehr
nimmt zu, die Durchschnitts-geschwindigkeit steigt und Lastenräder benötigen
mehr Raum. Es wird Zeit, den Zweirädern mehr Verkehrsfläche zur Verfügung zu
stellen. Wer sich traut, Schnellwege einzurichten (z.B. breite Spuren,
Vorrangschaltungen), wird eine enorme Zunahme des Radverkehrs verzeichnen und
im Idealfall Stadtleben attraktiver machen. Natürlich werden auch schnellere
Zweiräder weiter an Bedeutung gewinnen. Das gilt für Roller wie auch für
Motorräder.
Punkt 6: Elektroautos zwei Stunden freies Parken gönnen (bis
2017)
Für einen überschaubaren Zeitraum (Ende 2017) sollten
Elektrofahrzeuge in allen deutschen Städten einheitlich zwei Elektroparkstunden
geschenkt bekommen. Damit würde Parken und Stromtanken getrennt und das
Elektroauto für einen überschaubaren Zeitraum gefördert. Vieles spricht für
einheitliche Regelungen in den Städten in Deutschland (mindestens in den
Metropol-regionen). Die Befristung ist sinnvoll, weil auch Elektroautos
kostbaren Innenstadtraum benötigen, der in den Innenstädten knapp ist. Nach
Möglichkeit sollte die Gebührenbefreiung nur für vollelektrische Fahrzeuge
gelten. Ein interkommunaler Wettbewerb bei der Dauer der Gebühren-befreiung ist
kontraproduktiv und lenkt von den wichtigen Fragen ab.
Punkt 7: Beim Aufbau der Ladeinfrastruktur an die Nutzer
denken
Stromverkauf für Elektroautos rechnet sich nur in
Ausnahmefällen. Die Geschäftsmodelle für das Stromladen werden auf absehbare
Zeit nicht auf dem Stromverkauf basieren. Teurer Ladestrom macht das
Elektroauto wirtschaftlich unattraktiv. Für schnelles Laden – mindestens 20 kW
DC und 23 kW AC – mit garantiertem Zugang werden Nutzer bereit sein, einen
angemessenen Preis zu zahlen. Hier sind Raststätten, Autohöfe, Tankstellen und
Autohäuser die richtigen Anbieter. Das langsame Laden kann sehr preiswert
bereitgestellt werden und wird als Instrument der Kunden-bindung im Handel und
der Gastronomie an Bedeutung gewinnen. Damit Elektroautofahrer Stromtankstellen
nicht als Parkplätze missbrauchen – häufiger allerdings blockieren Fahrzeuge
mit Verbrennungsmotoren die Flächen – sollten für das Laden Parkgebühren
erhoben werden. Die Oberflächen der Stromtankstellen sollten sehr auffällig
markiert sein.
Bis ein einheitlicher Zugang für alle Elektro-Autofahrer zu
den Stromtankstellen im öffentlichen Raum möglich gemacht worden ist, sollte
der Strom allen Nutzern kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. Die
Abrechnung ist beim derzeitigen Marktvolumen offensichtlich teurer als die
Gratisabgabe. Leicht ließen sich auch Finanzierungsmodelle finden, die sich
nicht allein auf die Zahlungsbereitschaft von Kommunen und lokalen
Energieversorgern verlassen.
Nicht vergessen werden sollte, dass die weit überwiegende
Zahl der Ladevorgänge dort stattfinden wird, wo Autos häufig länger als vier
Stunden stehen (zu Hause oder am Arbeitsplatz). Die Möglichkeiten der
Einbeziehung von Autobatterien in ein intelligentes Energieversorgungs-system
sind nicht ausreichend erprobt, aber vermutlich eine Variante,
Elektroautofahren wirtschaftlicher zu machen und den Beitrag der Elektromobilität
zur Energiewende hervorzuheben.
Punkt 8: Straßen und Seitenräume elektrisch nutzen -
Energiealleen bauen
Elektromobilität verändert nicht nur die Fahrzeuge, sondern
auch die Funktion der Straßen und die Verteilung der Straßenräume auf die
Verkehrsträger. Zu wenig wurde bisher über die richtige Platzierung von
Stromtankstellen und über die Möglichkeiten der Erzeugung von regenerativer
Energie in Straßennähe nachgedacht. Der Fahrstrom für elektrische
Straßenfahrzeuge sollte (bilanziell) parallel zum Markthochlauf an den
Seitenräumen der Autobahnen und Fernstraßen erzeugt werden. Rund 400 neue
Windenergieanlagen würden den Strombedarf von einer Million Elektroautos
decken. Sicher können auch PV-Anlagen in Fahrbahnnähe platziert werden. Viele
weitere Optionen der Energieerzeugung, etwa auf den Fahrbahnoberflächen, wären
zu testen. Gleiches gilt für Oberleitungsspuren für den elektrischen
Gütertransport oder das induktive Laden. Die Idee der Errichtung von
Energiealleen längs der Autobahnen (z.B. der A 7) hat durch die Entwicklung der
Elektromobilität eine zweite Chance verdient.
Punkt 9: Kompetenzen der First Mover nutzen
Es gibt bereits Männer (in der Mehrzahl) und Frauen, die –
zum Teil sogar schon seit längerer Zeit – mit Elektroautos unterwegs sind. Zum
Teil sind sie in informellen Netzwerken verbunden. Deren Kompetenz wurde bisher
zu wenig genutzt. Das gilt für Politik und Verwaltungen wie auch für die
Fahrzeughersteller. Die Ignoranz wurde zum Teil teuer bezahlt. Es bedarf einer
Zusammenarbeit aller Interessierter.
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