Freitag, 11. September 2015

Diskussionsentwurf Metropolregion(en) elektrisieren - Neun Punkte für mehr Elektrofahrzeuge auf zwei, vier und mehr Rädern



Diskussionspapier Metropolregion(en) elektrisieren

Raimund Nowak – September 2015

Vorbemerkung

Die Elektromobilitätspolitik steht in Deutschland (mal wieder) vor einer Zäsur. Die von Bundes-ministerien unterstützten gebietsbezogenen Forschungs- und Entwicklungsprogramme (Modellregionen und Schaufenster) laufen in den nächsten Monaten aus. Wie durch staatliche Hilfe mehr Elektrofahrzeuge auf die Straße gebracht werden können, ist derzeit offen. Sollte die Wirtschaftslage ein Konjunkturprogramm erfordern, wird es wohl auch Kaufpreisprämien auf Elektroautos geben. Allein auf die Umweltprämie oder neue Fahrzeugmodelle zu warten, wäre zu wenig. In den vergangenen drei Jahren habe ich die Entwicklung der Elektromobilität intensiv verfolgt und an einigen Stellen ein wenig mitgestalten können. Verkehrs- und Umwelt- und Energiepolitik interessiert mich schon deutlich länger. Auf dieser Grundlage habe ich zehn Punkte für mehr Elektromobilität verfasst. Ich freue mich auf Unterstützung und Widerspruch.

Einleitung

Die hochgesteckten Ziele, Deutschland zum Leitmarkt und Leitanbieter für Elektromobilität zu machen, wurden bisher nicht erreicht. Es fahren deutlich weniger Elektroautos auf den Straßen als erwartet und selbst auf dem heimischen Markt stammt die Mehrzahl der Elektrofahrzeuge von ausländischen Herstellern. Die geringe Zahl der Stromtankstellen sowie das Durcheinander bei den Zugangs- und Abrechnungsmöglichkeiten sind für ein Land mit einer hochentwickelten Strominfrastruktur, privater und öffentlicher Investitionskraft sowie ausgeprägter administrativer Kompetenz unerklärlich.

Die lokalen und nationalen Diskussionen kreisen um nicht erreichte Verkaufszahlen und werden von der Furcht getrieben, Zeuge des Verschlafens eines grundlegenden Wandels im Mobilitäts-sektor zu sein. Die Chancen lokal emissionsfreier Fahrzeuge für die Lebensqualität (weniger Lärm – bessere Luft) oder die Aussicht auf eine Reduzierung der Abhängigkeit vom Erdöl werden kaum thematisiert. Viele Förderkonzepte sind zu komplex und auf der Suche nach dem Königsweg werden pragmatische Lösungen oft übersehen. Die blockierende Wirkung unterschiedlicher Wirtschaftsinteressen und fehlende Aufbruchsstimmung lassen sich schwer auflösen. Forschungs- und Entwicklungsprojekte haben wertvolles Wissen produziert, taugen jedoch kaum als Marktreiber und genauso wenig als Ersatz für Infrastrukturprogramme.

Einiges spricht dafür, dass künftig auch in Deutschland staatliche Hilfen für den Erwerb von Elektroautos gezahlt werden. Auch ohne diese Staatshilfen wird die Zahl der Fahrzeuge auf zwei, vier und mehr Rädern deutlich zunehmen. Das Angebot an Elektrofahrzeugen verbessert sich rasant. Bei den PKW wird man wählen können zwischen günstigen Fahrzeugen mit geringerer Reichweite und teureren Elektro-Modellen, die sich wie Automobile mit konventionellem Antrieb nutzen lassen. Es ist nur noch eine Frage des Zeitpunkts, bis Elektromobilität ein Massenphänomen wird. Elektrofahrräder haben längst die Marktnische verlassen und werden durch neue Modelle im Transportsegment und sinkende Preise weiter hohe Zuwachsraten verzeichnen.

Noch mehr Schwung erhält der Radverkehr durch die Ausweisung von Schnellwegen. Dies gilt für die urbanen Zentren, in denen elektrische Lastenräder deutlich an Bedeutung gewinnen werden. Viel schneller als erwartet können vollelektrische Busse im Linienverkehr eingesetzt werden. Die urbane Elektromobilität wird von Zweirädern, Bussen und Elektroautos als Leihwagen und als Lieferfahrzeuge angetrieben. In suburbanen und ländlichen Räumen ist das Potenzial für
Elektroautos viel größer als erwartet. Hier sind alternative Autos mangels anderer Möglichkeiten gefragt. Die Ballungszentren suchen nach Alternativen zum Auto.

Beim Aufbau eines sinnvollen Systems an Stromtankstellen sind noch viele Fragen offen. Zu wenig wissen wir über das Ladeverhalten der Nutzer und die Technik der Elektro-Autos in den nächsten zehn Jahren. Für einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren dürfte als gesichert gelten, dass der Stromverkauf an Ladesäulen im öffentlichen Raum nicht wirtschaftlich betrieben werden kann. Für schnelles Laden (möglichst 50 kW DC / 43 kW AC) werden Nutzer bereit sein, höhere Preise für den Ladestrom zu zahlen. Diese Säulen müssen in einem bewirtschafteten Raum stehen (Tankstellen/Autohöfe). Das beschleunigte Laden (11/22 kW AC) kann im öffentlichen Raum zum Preis leicht erhöhter Parkgebühren angeboten werden. Ansonsten dürfte sich das Bereitstellen von Strom für Elektroautos als Geschäftsmodell der Kundenbindung und Kundengewinnung für Handel und Gastronomie anbieten.

Für einen Übergangszeitraum von mindestens 24 Monaten wäre es sinnvoll, an allen Stromtank-stellen (außer Schnellladestationen ab 23 kW) in Deutschland den Strom kostenlos und ohne Zugangsbeschränkung anzubieten. Nur den Missbrauch als günstige Parkmöglichkeit gilt es zu verhindern. Der Übergangszeitraum sollte genutzt werden, um ein nutzerfreundliches System zu entwickeln. Letztlich ist zu beachten, dass teures Stromladen das Elektroautofahren wirtschaftlich unattraktiv macht.

Es wird darum gehen, für Elektrofahrzeuge preiswert Strom aus erneuerbarer Energie zur Ver-fügung zu stellen. Noch fehlen Argumente, Stromtankstellen zu teuren (und wartungsanfälligen) IT-Stationen aufzurüsten. Natürlich ist der Einsatz von Elektrofahrzeugen Teil der Energiewende. Die Dekarbonisierung des Verkehrs wird nicht an der Bereitstellung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen scheitern. Um die Verbindung zu verdeutlichen, sollten rund 400 neue Wind-energieanlagen, die ausreichend Strom für eine Million Elektroautos erzeugen können, entlang von Fernstraßen aufgebaut werden. Ansonsten werden wir erleben, wie schnell Häuser zu Strom-produzenten für Elektroautos werden und deren Batterien auch Strom für andere Nutzungen im Haushalt zur Verfügung stellen können.

Gebiete wie die Metropolregion Hannover Braunschweig Göttingen Wolfsburg, in denen seit einigen Jahren außergewöhnlich viele Forschungs- und Entwicklungsprojekte im Bereich der Elektromobilität laufen, sollten unter Beweis stellen, dass gewonnene Erkenntnisse unmittelbar in Entscheidungsprozesse einfließen können. Das Ende eines Projekts ist der Beginn eines neuen Anfangs. Möglichst näher am Markt oder zumindest mit einer neuen Idee.

Punkt 1: Nicht nur auf die urbanen Zentren schauen

Es ist falsch, Elektromobilität allein als Großstadtthema zu betrachten. Das Potenzial im sub-urbanen und ländlichen Raum wurde bisher unterschätzt. In den urbanen Zentren wird Elektromobilität über Busse, Lieferverkehr, Zweiräder und Leihsysteme angetrieben. Hier spielen Alternativen zum Auto eine wichtige Rolle. Im ländlichen Räumen sind Autos mit alternativem Antrieb leichter einsatzfähig als bisher gedacht. Hier bestehen häufig keine akzeptablen Alter-nativen zur Nutzung eines Automobils. Im nicht gewerblichen Bereich wohnt die ideale Zielgruppe für den Kauf von Elektroautos im Umland, verfügt im Haushalt über mehr als ein Auto oder verfolgt einen multimodalen Lebensstil und produziert selbst Strom.

Punkt 2: Den Lieferverkehr elektrisieren

Der Lieferverkehr in den urbanen Zentren bietet ein enormes Potenzial für den Einsatz von Elektrofahrzeugen, die leider noch nicht ausreichend angeboten werden. Der enorme Anstieg an urbanem Lieferverkehr (Versandhandel) belastet die Lebensqualität in den Städten. Kluge Logistikkonzepte und der Einsatz von Elektrofahrzeugen bieten Lösungsmöglichkeiten. Im Innenstadtbereich und auf Kurzdistanzen werden elektrische Lastenräder an Bedeutung gewinnen. Innovative Lösungen wie Oberleitung-LKW sollten auch in Deutschland getestet werden.
Punkt 3: Elektrofahrzeuge viel fahren lassen.

Elektroautos sind teuer, wenn sie wenig bewegt werden. Diese Einsicht ruft geradezu nach einem angepassten Management in Fuhrparks und nach neuen Einsatzmodellen. Elektroautos müssen im positiven Sinne Symbolfahrzeuge sein. Nicht stehend als Imageträger, sondern fahrend als Beispiele für den modernen Einsatz von Autos. Der Besitz eines Elektroautos ist weniger bedeutend als dessen Einsatz.

Punkt 4: Elektrobusse im Linienverkehr einsetzen

Die Entwicklung bei den Elektrobussen hat überrascht. Viel schneller als erwartet werden vollelektrische Busse für den urbanen Linienverkehr angeboten. Leise, keine lokale Belastung der Luftqualität und hohe CO²-Einsparungen. Hier werden die Vorteile der Elektromobilität besonders deutlich. Wenn in Deutschland etwas weniger Elektroautos fahren werden, dann sollten es überraschend mehr Elektrobusse sein. Hier kann sich die Politik mindestens so ambitionierte Ziele setzen wie bei den Elektroautos.

Punkt 5: Mehr Raum für Elektrofahrräder schaffen

Elektrofahrräder verändern die Verkehrswelt. Der Radverkehr nimmt zu, die Durchschnitts-geschwindigkeit steigt und Lastenräder benötigen mehr Raum. Es wird Zeit, den Zweirädern mehr Verkehrsfläche zur Verfügung zu stellen. Wer sich traut, Schnellwege einzurichten (z.B. breite Spuren, Vorrangschaltungen), wird eine enorme Zunahme des Radverkehrs verzeichnen und im Idealfall Stadtleben attraktiver machen. Natürlich werden auch schnellere Zweiräder weiter an Bedeutung gewinnen. Das gilt für Roller wie auch für Motorräder.

Punkt 6: Elektroautos zwei Stunden freies Parken gönnen (bis 2017)

Für einen überschaubaren Zeitraum (Ende 2017) sollten Elektrofahrzeuge in allen deutschen Städten einheitlich zwei Elektroparkstunden geschenkt bekommen. Damit würde Parken und Stromtanken getrennt und das Elektroauto für einen überschaubaren Zeitraum gefördert. Vieles spricht für einheitliche Regelungen in den Städten in Deutschland (mindestens in den Metropol-regionen). Die Befristung ist sinnvoll, weil auch Elektroautos kostbaren Innenstadtraum benötigen, der in den Innenstädten knapp ist. Nach Möglichkeit sollte die Gebührenbefreiung nur für vollelektrische Fahrzeuge gelten. Ein interkommunaler Wettbewerb bei der Dauer der Gebühren-befreiung ist kontraproduktiv und lenkt von den wichtigen Fragen ab.

Punkt 7: Beim Aufbau der Ladeinfrastruktur an die Nutzer denken

Stromverkauf für Elektroautos rechnet sich nur in Ausnahmefällen. Die Geschäftsmodelle für das Stromladen werden auf absehbare Zeit nicht auf dem Stromverkauf basieren. Teurer Ladestrom macht das Elektroauto wirtschaftlich unattraktiv. Für schnelles Laden – mindestens 20 kW DC und 23 kW AC – mit garantiertem Zugang werden Nutzer bereit sein, einen angemessenen Preis zu zahlen. Hier sind Raststätten, Autohöfe, Tankstellen und Autohäuser die richtigen Anbieter. Das langsame Laden kann sehr preiswert bereitgestellt werden und wird als Instrument der Kunden-bindung im Handel und der Gastronomie an Bedeutung gewinnen. Damit Elektroautofahrer Stromtankstellen nicht als Parkplätze missbrauchen – häufiger allerdings blockieren Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren die Flächen – sollten für das Laden Parkgebühren erhoben werden. Die Oberflächen der Stromtankstellen sollten sehr auffällig markiert sein.

Bis ein einheitlicher Zugang für alle Elektro-Autofahrer zu den Stromtankstellen im öffentlichen Raum möglich gemacht worden ist, sollte der Strom allen Nutzern kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. Die Abrechnung ist beim derzeitigen Marktvolumen offensichtlich teurer als die Gratisabgabe. Leicht ließen sich auch Finanzierungsmodelle finden, die sich nicht allein auf die Zahlungsbereitschaft von Kommunen und lokalen Energieversorgern verlassen.

Nicht vergessen werden sollte, dass die weit überwiegende Zahl der Ladevorgänge dort stattfinden wird, wo Autos häufig länger als vier Stunden stehen (zu Hause oder am Arbeitsplatz). Die Möglichkeiten der Einbeziehung von Autobatterien in ein intelligentes Energieversorgungs-system sind nicht ausreichend erprobt, aber vermutlich eine Variante, Elektroautofahren wirtschaftlicher zu machen und den Beitrag der Elektromobilität zur Energiewende hervorzuheben.

Punkt 8: Straßen und Seitenräume elektrisch nutzen - Energiealleen bauen

Elektromobilität verändert nicht nur die Fahrzeuge, sondern auch die Funktion der Straßen und die Verteilung der Straßenräume auf die Verkehrsträger. Zu wenig wurde bisher über die richtige Platzierung von Stromtankstellen und über die Möglichkeiten der Erzeugung von regenerativer Energie in Straßennähe nachgedacht. Der Fahrstrom für elektrische Straßenfahrzeuge sollte (bilanziell) parallel zum Markthochlauf an den Seitenräumen der Autobahnen und Fernstraßen erzeugt werden. Rund 400 neue Windenergieanlagen würden den Strombedarf von einer Million Elektroautos decken. Sicher können auch PV-Anlagen in Fahrbahnnähe platziert werden. Viele weitere Optionen der Energieerzeugung, etwa auf den Fahrbahnoberflächen, wären zu testen. Gleiches gilt für Oberleitungsspuren für den elektrischen Gütertransport oder das induktive Laden. Die Idee der Errichtung von Energiealleen längs der Autobahnen (z.B. der A 7) hat durch die Entwicklung der Elektromobilität eine zweite Chance verdient.

Punkt 9: Kompetenzen der First Mover nutzen

Es gibt bereits Männer (in der Mehrzahl) und Frauen, die – zum Teil sogar schon seit längerer Zeit – mit Elektroautos unterwegs sind. Zum Teil sind sie in informellen Netzwerken verbunden. Deren Kompetenz wurde bisher zu wenig genutzt. Das gilt für Politik und Verwaltungen wie auch für die Fahrzeughersteller. Die Ignoranz wurde zum Teil teuer bezahlt. Es bedarf einer Zusammenarbeit aller Interessierter.


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